Die dunkle Seite der künstlichen Intelligenz

Als Techniker bin ich recht schnell von allen möglichen Dingen zu begeistern, die irgendwie blinken und piepsen, ganz gleich, wie unnütz diese auch sein mögen. Elektronikspielereien ziehen mich an, wie das Licht Motten. Seit einer Weile ist eine neue Generation Spielwaren für die breite Masse verfügbar: Anwendungen der Künstlichen Intelligenz, genauer gesagt künstliche neuronale Netze. Die frei verfügbaren Anwendungen leisten bereits Beachtliches und es ist erst der Anfang dessen, was noch möglich sein wird. Vielen Menschen ist die Tragweite KI-basierter Anwendungen noch gar nicht bewusst geworden. Das ist auch nicht verwunderlich, denn das, was gerade im Sektor KI geschieht, wird unser Leben nachhaltig verändern. Wir können also zu Recht sagen, dass wir in einer Zeit leben, die gerade Geschichte schreibt. Ob die kommenden Veränderungen etwas Gutes werden, oder sie sich als eine Dystopie entpuppen, wird an uns liegen.

java Aktuell 2024.01

Als ich im Studium vor sehr vielen Jahren als Vertiefungsrichtung Künstliche Intelligenz gewählt hatte, war die Zeit noch von sogenannten „Expertensystemen“ geprägt. Diese regelbasierten Systeme waren für ihre Domäne hochspezialisiert und wurden für entsprechende Experten ausgelegt. Das System sollte die Experten bei der Entscheidungsfindung unterstützen. Mittlerweile haben wir auch die notwendige Hardware, um viel allgemeinere Systeme zu schaffen. Wenn wir Anwendungen wie ChatGPT betrachten, basieren diese auf neuronalen Netzen, was eine sehr hohe Flexibilität in der Verwendung erlaubt. Der Nachteil ist allerdings, dass wir als Entwickler kaum noch nachvollziehen können, welche Ausgabe ein neuronales Netz für eine beliebige Eingabe erzeugt. Ein Umstand, der die meisten Programmierer, die ich kenne, eher eine ablehnende Haltung einnehmen lässt, da diese so nicht mehr Herr über den Algorithmus sind, sondern nur noch nach dem Prinzip Versuch und Irrtum agieren können.

Dennoch ist die Leistungsfähigkeit neuronaler Netze verblüffend. Vorbei scheint nun die Zeit, in der man sich über unbeholfene, automatisierte, Software-gestützte Übersetzungen lustig machen kann. Aus eigener Erfahrung weiß ich noch, wie mühselig es war, den Google Translator aus dem Deutschen einen vernünftigen Satz ins Spanische übersetzen zu lassen. Damit das Ergebnis brauchbar war, konnte man sich über die Option Englisch – Spanisch behelfen. Alternativ, wenn man nur ein rudimentäres Englisch für den Urlaubsgebrauch spricht, konnte man noch sehr einfache deutsche Sätze formulieren, die dann wenigsten inhaltlich korrekt waren. Die Zeitersparnis für automatisiert übersetzte Texte ist erheblich, obwohl man diese Korrektur lesen muss und gegebenenfalls ein paar Formulierungen angepasst werden müssen.

So sehr ich es schätze, mit solchen starken Werkzeugen arbeiten zu können, müssen wir uns aber auch im Klaren sein, dass es auch eine Schattenseite gibt. Denn je mehr wir unserer täglichen Aufgaben über KI-gestützte Tools erledigen, umso mehr verlieren wir die Fähigkeit, diese Aufgaben künftig weiterhin manuell bearbeiten zu können. Für Programmierer bedeutet dies, dass sie im Laufe der Zeit über KI-gestützte IDEs ihre Ausdrucksfähigkeit im Quellcode verlieren. Das ist natürlich kein Prozess, der über Nacht stattfindet, sondern sich schleichend einstellt. Aber sobald diese Abhängigkeit einmal geschaffen ist, stellt sich die Frage, ob die verfügbaren, liebgewonnenen Werkzeuge weiterhin kostenfrei bleiben oder, ob für bestehende Abonnements möglicherweise drastische Preiserhöhungen stattfinden. Denn es sollte uns schon klar sein, das kommerziell genutzte Werkzeuge, die unsere Produktivität erheblich verbessern, üblicherweise nicht zum Schnäppchenpreis verfügbar sind.

Ich denke auch, dass das Internet, wie wir es bisher gewohnt sind, sich in Zukunft sehr stark verändern wird. Viele der kostenlosen Angebote, die bisher durch Werbung finanziert sind, werden mittelfristig verschwinden. Schauen wir uns dazu einmal als Beispiel den Dienst „Stack Overflow“ an – in Entwicklerkreisen eine sehr beliebte Wissensplattform. Wenn wir nun künftig für die Recherche zu Fragestellungen der Programmierung ChatGPT oder andere neuronale Netze nutzen, sinken für Stack Overflow die Besucherzahlen kontinuierlich. Die Wissensbasis wiederum, die ChatGPT nutzt, basiert auf Daten von öffentlichen Foren wie Stack Overflow. Somit wird auf absehbare Zeit Stack Overflow versuchen, seine Dienste für KIs unzugänglich zu machen. Es könnte sicher auch eine Einigung mit Ausgleichszahlungen zu Stande kommen, sodass die wegfallenden Werbeeinnahmen kompensiert werden. Denn als Techniker muss uns nicht ausschweifend dargelegt werden, dass für ein Angebot wie Stack Overflow erhebliche Kosten für den Betrieb und die Entwicklung anfallen. Es bleibt dann abzuwarten, wie die Nutzer das Angebot künftig annehmen werden. Denn wenn auf Stack Overflow keine neuen Daten zu Problemstellungen hinzukommen, wird die Wissensbasis für KI-Systeme auch uninteressant. Daher vermute ich, dass bis zirka 2030 vor allem hochwertige Inhalte im Internet kostenpflichtig werden.

Wenn wir die Prognose des mittelfristigen Trends über den Bedarf von Programmierern betrachten, kommen wir zu der Frage, ob es künftig eine gute Empfehlung sein wird, Informatik zu studieren oder eine Ausbildung als Programmierer anzutreten. Ich sehe hier tatsächlich eine positive Zukunft und würde jedem, der eine Ausbildung als Berufung versteht und nicht als Notwendigkeit ansieht, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, in seinem Vorhaben bekräftigen. Meiner Ansicht nach werden wir weiterhin viele innovative Köpfe benötigen. Lediglich jene, die sich anstatt sich mit Grundlagen und Konzepten zu beschäftigen, lieber mal schnell ein aktuelles Framework erlernen wollen, um aufkommende Hypes des Marktes mitzunehmen, werden sicher nur noch geringen Erfolg in Zukunft erzielen. Diese Beobachtungen habe ich aber auch bereits vor der breiten Verfügbarkeit von KI-Systemen machen können. Deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass sich langfristig Qualität immer durchsetzen wird.

Dass man sich stets Themen möglichst kritisch und aufmerksam nähern sollte, betrachte ich als eine Tugend. Dennoch muss ich sagen, dass so manche Ängste im Umgang mit KI recht unbegründet sind. Sie haben ja schon einige meiner möglichen Zukunftsvisionen in diesem Artikel kennengelernt. Aussagen wiederum, dass die KI einmal unsere Welt übernehmen wird, indem sie unbedarfte Nutzer subtil beeinflusst, um diese zu Handlungen zu motivieren, halte ich für einen Zeitraum bis 2030 eher für reine Fantasie und mit dem aktuellen Erkenntnisstand unbegründet. Viel realistischer sehe ich das Problem, dass findige Marketingleute das Internet mit minderwertigen, ungeprüften, nicht redigierten, KI-generierten Artikeln übersähen, um ihr SEO-Ranking aufzupeppen und diese wiederum als neue Wissensbasis der neuronalen Netze die Qualität künftiger KI-generierter Texte erheblich reduziert.

Die bisher frei zugänglichen KI-Systeme haben gegenüber dem Menschen einen entscheidenden Unterschied. Ihnen fehlt die Motivation, etwas aus eigenem Antrieb zu tun. Erst durch eine extrinsische Anfrage durch den Nutzer beginnt die KI, eine Fragestellung zu bearbeiten. Interessant wird es dann, wenn eine KI sich aus eigenem Antrieb heraus selbstgewählten Fragestellungen widmet und diese auch eigenständig recherchiert. In diesem Fall ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass die KI sehr schnell ein Bewusstsein entwickeln wird. Läuft eine solche KI dann noch auf einem Hochleistungsquantencomputer, haben wir nicht genügend Reaktionszeit, um gefährliche Entwicklungen zu erkennen und einzugreifen. Daher sollten wir uns durchaus das von Dürrenmatt geschaffene Drama „Die Physiker “ in unserem Bewusstsein halten. Denn die Geister, die ich einmal rief, werde ich möglicherweise nicht so schnell wieder los.

Grundsätzlich muss ich zugeben, dass mich das Thema KI weiterhin fasziniert und ich auf die künftige Entwicklung sehr gespannt bin. Dennoch finde ich es wichtig, auch vor der dunklen Seite der Künstlichen Intelligenz den Blick nicht zu versperren und dazu einen sachlichen Diskurs zu beginnen, um möglichst schadenfrei das vorhandene Potenzial dieser Technologie auszuschöpfen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert